Mit nachhaltigen Investments der Inflation trotzen

von Jan Rabe, Leiter Nachhaltigkeit bei DJE Kapital AG

Die anhaltende Inflation bei Löhnen, der Beschaffung von Rohstoffen sowie der Produktion von Energie begünstigt branchenübergreifend eine Umlenkung von Finanzmitteln in Transformationsinvestitionen, die dem Kostendruck langfristig entgegenwirken. Während eine weltweit unsichere konjunkturelle Lage Wirtschaftsakteure eher von Neuinvestitionen abhält, begünstigen insbesondere strukturelle Veränderungen in der Demografie, Energiepolitik und -sicherheit sowie ein alternder Kapitalstock Technologien, die auf Kostensenkung und Produktivitätsgewinne ausgerichtet sind. Unternehmen, die dies ermöglichen und zugleich von hohen Markteintrittsbarrieren und attraktiven Rendite-Risiko-Profilen profitieren, können einen positiven Beitrag zur Transformation in eine nachhaltig ausgerichtete Wirtschaft liefern.

Drei Technologien, die deflationäre Kräfte freisetzen können

Die durch die Covid-Pandemie verursachten Engpässe in den globalen Lieferketten, zunehmende geopolitische Spannungen als auch ein stärkerer Fokus auf Energiesicherheit haben das jahrzehntelange deflationäre Narrativ der Weltwirtschaft auf den Kopf gestellt. Auch wenn die jüngste Entspannung in den Lieferketten zu einer gewissen Abschwächung der Inflation beigetragen hat, bleibt doch die Angst vor anhaltend hohen Konsumentenpreisen. Produkte von Unternehmen, die innovative und kostengünstige Lösungen anbieten und dadurch inflationären Trends entgegenwirken, dürften stärker nachgefragt werden. In der Vergangenheit trugen eine Reihe von Technologien und Sektoren dazu bei, Preise dauerhaft zu senken, wie es beispielsweise bei der Software- und Hardwareentwicklung oder der Unterhaltungselektronik der Fall war. Andere, wie etwa Bildung, Gesundheitsfürsorge oder Immobilien, waren dagegen durchweg von inflationären Entwicklungen bestimmt. Dies liegt unter anderem daran, dass diese Gruppe technologische Fortschritte nur schwer ausreichend skalieren konnte. In diesem Kontext lassen sich drei deflationäre Technologietrends identifizieren, die Entlastung für Unternehmen und Konsumenten bringen können: Der Aufstieg der Künstlichen Intelligenz (KI), erneuerbare Energien sowie das Speichern von Energie und dessen Bedeutung für die Elektromobilität.

1. Die Künstliche Intelligenz (KI) wirkt zunehmend deflationär

Seit 1959 betrug die Verdopplungszeit der Rechenleistung von Computerchips etwa zwei Jahre (Moore´s Law). Ab etwa 2012 betrug die Verdopplungszeit etwas mehr als drei Monate. Das KI-Training von Modellen hat im Laufe der Jahre immer leistungsfähigere Rechenprozesse von Computern ermöglicht, die jetzt weit über der Rate liegen, die das Mooresche Gesetz prognostizierte. Diese Verbesserung war nicht auf KI-Modelle in einem einzelnen Bereich beschränkt, sondern verkürzte die Verdopplungszeit bei Sprach-, Seh- und auch bei Spiel-KI-Modellen. Der Wettlauf um die KI-Überlegenheit – teilweise getrieben durch den Wunsch nach nationaler und unternehmerischer Innovationsführerschaft – beschleunigt sich rasant. Gleichzeitig hat die Hardware, die für solche Ergebnisse benötigt wird, deutlich an Qualität hinzugewonnen. Der US-amerikanische Technologieriese Microsoft kündigte erst kürzlich an, sein in Kooperation mit Open AI entwickeltes KI-Modell ‚Chat GPT‘ (GPT = Generative Pre-trained Transformer) in seine Suchmaschine ,Bing‘ zu integrieren und dadurch die Online-Recherche revolutionieren zu wollen. Nutzer von ‚Bing‘ haben so künftig die Möglichkeit, Suchabfragen zu optimieren und Kosten gegenüber alternativen Dienstleistern einzusparen. Microsoft möchte dadurch Marktanteile in diesem Geschäftsbereich von seinem Rivalen Alphabet, dem Google-Mutterkonzern, zurückgewinnen. Zu den Unternehmen, die ebenso an KI-basierten Technologietrends arbeiten, gehört neben Microsoft vor allem auch der US-amerikanische Entwickler für Grafikprozessoren (GPU) und Chipsätzen Nvidia, der im Rahmen einer mehrjährigen Zusammenarbeit mit Microsoft gemeinsam an KI-Modellen forscht. So soll einer der weltweit leistungsfähigsten KI-Supercomputer entstehen, der die Cloud-Computing-Infrastruktur von Microsoft Azure mit Nvidias GPUs kombiniert.

2. Die deflationären Kräfte durch saubere Energien werden weiterhin unterschätzt

Die internationale Energieagentur (IEA) war in der Vergangenheit durchweg pessimistisch in Bezug auf die Möglichkeit, dass die Solar-Photovoltaik-Technologie jemals billig genug sein könnte, um die Nachfrage des Massenmarktes zu bedienen. Tatsächlich unterschätzte die IEA mit ihren Prognosen die installierte Basis an Megawattstunden erzeugter Energie der entsprechenden Anlagen über die letzten 15 Jahre. Mit jedem Anstieg der installierten Basis um eine logarithmische Größenordnung sind die Produktionskosten einer Megawattstunde, die durch Photovoltaik erzeugt wurde, bereits um 36 Prozent gefallen. In ähnlicher Weise sind die Produktionskosten für eine Megawattstunde Energie aus Offshore-Wind um zehn Prozent und aus Onshore-Wind um 23 Prozent gesunken. Traditionelle Brennstoffe, die mit zunehmender Sorge um Geopolitik und Energiesicherheit wieder in den Fokus gerückt sind, brachten dagegen in den letzten zehn Jahren kaum eine oder gar keine Verbesserung dieser Rate. Neben Energieversorgern, die ausschließlich Solar- und Windparks betreiben, wachsen vor allem die Umsätze von Unternehmen wie Vestas (Dänemark) oder First Solar (USA), die Schlüsselkomponenten für diese Parks liefern.

3. Deflationäre Effekte durch massenhafte Energiespeicherung und Elektromobilität

Die Kosten für Batteriespeicher sinken seit einiger Zeit aufgrund eines stärkeren Wettbewerbs um entsprechende Endmärkte und wegen ehrgeiziger Emissionsreduktionsziele auf nationaler Ebene. Da die hierfür benötigten Lieferketten noch nicht ausgereift sind, werden sich erfahrungsgemäß weitere Kostensenkungen durch deren Entwicklung realisieren lassen können.

Unternehmen, die bereits heute erfolgreiche Geschäftsmodelle zur Produktion von Energiespeichern in Zusammenarbeit mit der Automobilindustrie etabliert haben, sind Kempower aus Finnland und Alfen aus den Niederlanden. Mit der steigenden Nachfrage nach Elektrofahrzeugen steigt auch die Nachfrage nach stationären und mobilen Ladestationen für die Batterien der Fahrzeuge. Insbesondere der Beschluss des EU-Parlaments, keine Pkw mit Verbrennermotoren nach 2035 zuzulassen, könnte für die Nachfrage nach Ladestationen weiteren Aufwind bedeuten.

Exkurs in die Regulatorik

Doch was haben die zuvor genannten Unternehmen neben einem Exposure gegenüber strukturell interessanten Trends gemeinsam? Sie erfüllen alle die strikten Anforderungen an eine durch die EU-Offenlegungsverordnung definierte „nachhaltige Investition". Als „nachhaltige Investition" gilt ein Emittent von Wertpapieren dann, wenn er Umsätze gegenüber Impact-Themen ausweist, auf mindestens eines der siebzehn Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals) positiv einzahlt, keine weiteren ausgewählten Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen verletzt und zudem nicht negativ durch nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen gemäß dem Do No Significant Harm (DNSH)-Prinzip auffällt. Unternehmen erfüllen das DNSH-Prinzip, wenn diese nicht negativ durch schwere oder schwerste Kontroversen auffallen, nicht in Verbindung mit kontroversen Waffen zu bringen sind, weniger als ein Prozent Umsatz-Exposure bei Kohleverstromung aufweisen und weniger als fünf Prozent der Umsätze aus Aktivitäten um Tabak generieren und zugleich kein Produzent von Tabakwaren sind.

Wünschen Anleger künftig eine „Nachhaltigkeitsquote" im Rahmen ihrer Kapitalanlage, müssen Vermögensverwalter innerhalb der EU gezielt solche Titel in Portfolios aufnehmen, die der Definition einer „nachhaltigen Investition" entsprechen. Es wird erwartet, dass die EU-Kommission die Legaldefinition der „nachhaltigen Investition" weiter konkretisieren wird. Erkennen Vermögensverwalter diese als ausreichend genau an, könnte die zuletzt für Aufsehen sorgende Herabstufung vieler nach EU-Offenlegungsverordnung klassifizierter Artikel 9-Produkte auf Artikel 8 wieder rückgängig gemacht werden. Dies könnte zu einem Nachfrageschub für die  als „nachhaltige Investition" geltenden Emittenten von Wertpapieren führen und eine Überschussrendite entsprechender Titel begünstigen. Legt man einen Grenzwert von mindestens 20 Prozent für Umsätze fest, die auf Impact-Themen (positiver und messbarer Beitrag für Ökologie und Gesellschaft) einzahlen, erfüllen aktuell nur etwa acht Prozent aller Titel des MSCI-World überhaupt diese strikten Anforderungen, die Artikel 9-Produkte an das Fondsmanagement stellen.

Die Anlagestrategie aus dem Nachhaltigkeitsbereich, die diesen Gedanken am ehesten trifft, ist das sogenannte „Impact Investing“. Hierbei konzentrieren sich Investments auf solche Unternehmen, mit denen sich neben einer positiven Rendite auch ein positiver und messbarer Effekt auf Ökologie und Gesellschaft erzeugen lässt. Im Jahr 2020 machte diese Anlagestrategie laut Erhebung der Global Sustainable Investment Alliance (GSIA) unter allen Nachhaltigkeitsstrategien nur rund ein Prozent aller investierten Vermögenswerte aus. In vielen Regionen wie den USA oder Asien spielen diese Faktoren allerdings noch keine Rolle. Je populärer also Artikel 9-Anlageprodukte werden, desto höher wird auch die Nachfrage nach Titeln werden, die als „nachhaltige Investition“ gelten und sich für „Impact-orientierte“ Portfolios eignen.

https://www.green-bonds.com/
Foto: Jan Rabe © DJE Kapital AG


 

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